Tobias Sylvester Vierneisel: Die Unterführung / Der Liegende

Seine Person in Verbindung mit seinen wenigen Habseligkeiten und der düsteren Umgebung unter der kalten Brücke wirkten auf mich wie ein Abbild oder auch Aufschrei unserer Gesellschaft. Sein müdes Gesicht und der Körper des Liegenden. Ein Bild, das sich in meinen Gedanken verankert hat. Wer ist es, wer war er früher und warum hat er sich diesen Ort ausgesucht? Einen Ort, an dem wir ungern verweilen.

Obdachloser Unterführung Bonn

Ausstellungsbild ZoomBonn 2019

Jeden Tag fahre ich seit Jahren an einem Obdachlosen vorbei, der unter einer Brücke liegt. Bei jedem Wetter liegt er da in gedrungener Haltung, den Blick zu Boden gerichtet und in sich versunken. Hilfe will er nicht. Wie so viele musste auch ich seine Ablehnung hinnehmen. Er will kein Essen, keine warme Kleidung und kein Gespräch. Vielleicht will er für sich sein, in seinem Raum, seiner Einsamkeit und seiner Ruhe.

Ich musste seine Haltung und seine Situation akzeptieren, die er sich vielleicht bewusst ausgesucht hat, erlaube mir aber ihn mit einem Lächeln zu grüßen wann immer er aufschaut, wenn ich an ihm vorbeifahre.

Seine Person in Verbindung mit seinen wenigen Habseligkeiten und der düsteren Umgebung unter der kalten Brücke wirkten auf mich wie ein Abbild oder auch Aufschrei unserer Gesellschaft. Sein müdes Gesicht und der Körper des Liegenden. Ein Bild, das sich in meinen Gedanken verankert hat. Wer ist es, wer war er früher und warum hat er sich diesen Ort ausgesucht? Einen Ort, an dem wir ungern verweilen.

Vielleicht geht es ihm um Schutz; Schutz, den wir, die wir ein Dach über dem Kopf haben und eine Tür, die wir hinter uns schließen können, nicht benötigen. Es ist einen Schutz, den auch Unterführungen bieten. Orte, die wir meiden, weil sie ungemütlich sind; oft bedingt durch alte schlechte Graffitis, kaltes Licht und dem Geruch nach Urin. Orte, die wir schnell und nur gezwungener Maßen durchwandern. Hier stoßen wir immer wieder auf Obdachlose mit ihrem Hab und Gut.

An ihnen gehen wir vorüber, meiden ihre Blicke und beschleunigen unseren Gang. Wir schauen weg und wollen das Elend hinter uns lassen. Manch einer gibt etwas Geld oder etwas zu essen. Ganz gleich ob wir vorübergehen oder etwas geben. Eine gewisse Scham bleibt immer. Für uns ist die Unterführung ein Nicht-Ort; nach Marc Augé ein Ort, dem es vor allem an etwas mangelt – Identität, Relation, Geschichte. Ein Ort der Anonymität, der Einsamkeit, der Entwurzelung. Was aber ist die Unterführung für den Liegenden, der Schutz sucht?

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